Montag, 11. Juli 2011

Cochabamba (Nov.-Dez. 2009)


Chillen mit Gastgeber Diego und sein bester Kumpel

Umso glücklicher waren wir, als wir endlich Cochabamba erreichten, eine mitten im Zentrum Boliviens gelegene Stadt, welche von Bergen eingekesselt ist. Angekommen am überfüllten Bahnhof, hätten wir niemals erwartet, welch wundervolle Zeit uns in dieser Stadt erwarten sollte. Das Taxi brachte uns zum „Casa azúl“, einem blauen Haus, in dem unser Couchsurfer Diego mit seiner Schwester Llorena und Mutter Sylvia wohnte.
La casa azúl
Wie viele Südamerikaner, lebte der Vater schon seit vielen Jahren in Amerika als Gastarbeiter und kam die Familie nur alle paar Jahre besuchen. Wir wurden sehr herzlich aufgenommen; Diego bot uns im Gegenzug für einen kleinen Zuschuss zur Haushaltskasse sogar an, dass wir so lange bleiben könnten, wie wir wollen. Da wir genug vom Hetzreisen hatten, beschlossen wir daher, uns hier länger aufzuhalten. Wenn man so lange reist, sehnt man sich manchmal tatsächlich nach Routine und dem Gefühl, nützlich zu sein. Da unser Reisetempo vor Cochabamba sehr schnell gewesen war, waren auch viele unserer Bekanntschaften dementsprechend von flüchtiger und oberflächlicher Natur. Langsam fing es an zu nerven, einander immer nur nach dem "Wohin gehst du?" oder "Wo kommst du her?" zu fragen. Deshalb waren wir überglücklich, in Cochabamba endlich mal wieder die Möglichkeit zu haben, Menschen besser kennenzulernen. 

Unsere Gastfamilie: Diego, Mutter Sylvia, Laura, Llorena, Jane

Cochabamba gefiel uns besonders aufgrund des sonnigen Klimas, des Bergpanoramas und der freundlichen Menschen. Der Stadtkern glich eher einem riesigen Markt mit unzähligen Cholitas und Straßenverkäufern, die ihre Waren auf ausgeweiteten Matten und in Flechtkörben feilboten. 


Cholita am Obstverkaufen
Cholita bezeichnet eine weibliche Angehörige der sogenannten campesinos, der Landbevölkerung. Abgesehen von der Tatsache, dass viele  von ihnen in die Stadt gezogen sind, hat sich von ihrer traditionellen Art zu leben, insbesondere der Kleidung nicht viel geändert. Die Frauen tragen meistens gigantische, aus hunderten von Lagen bestehende Faltenröcke und man kann sie häufig beim Flechten ihrer dicken zwei Zöpfe, an denen traditioneller Schmuck baumelt, beobachten. Obgleich sie bitterarm sein mögen, besitzen sie meist kostbaren Goldschmuck und sparen lange Zeit für ihre Gewänder, da dies einen essentiellen Teil ihrer Kultur ausmacht. Manchmal tragen sie Zylinder oder Panamahüte und besonders charakteristisch sind auch die neonfarbenen Webtücher, mit welchen sie ihre Waren oder Kleinkinder auf dem Rücken geschnallt tragen. Sie sind die Urbevölkerung Boliviens und haben eine dunklere Hautfarbe als die Nachfahren der spanischen Kolonialisten. Mit Letzteren stehen sie im Konflikt, was auf die koloniale Geschichte und die Tatsache, dass weiße nach wie vor einen vorrangigen Platz in der Gesellschaft und im Berufsleben genießen. Auch Touristen gegenüber verhalten sie sich eher reserviert und verweilen eher unter Ihresgleichen. 

Cholita in Festtracht

 Unser Leben in Cochabamba, welches einen Monat andauerte, bekam mehr und mehr Struktur. Neben Spanisch-Unterricht,  Mitgliedschaft im Fitnesscenter, erweitertem Freundeskreis und wachsender Bekanntschaften und Familienalltag, nahm besonders die Arbeit im Waisenheim „Fundación Millenium“ einen großen Platz in unserem Leben ein. Dort lebten ca. 30 Kinder im Alter von 0-5 Jahren, wobei wir uns mindestens um die Hälfte allein kümmern mussten. Durchschnittlich  arbeiteten wir 4-5 Stunden am Tag.  Zu unseren Aufgaben gehörte, die Kinder morgens zu waschen und anzuziehen, sie zu füttern und mit ihnen zu spielen. Auch, wenn wir nur für eine kurze Zeit dort arbeiteten, hat uns diese Station unserer Reise doch sehr geprägt und war eine wertvolle Erfahrung für uns. Es mag kitschig klingen, aber es kann kein größeres Geschenk geben, als den Kindern das Gefühl von Wärme und Geborgenheit zu vermitteln und sie jeden Tag strahlen zu sehen, obgleich ihrer misslichen Lage. Auf alle Fälle stärkte diese Erfahrung den Wunsch in uns, zum Kampfe gegen die Ungerechtigkeit in unserer Welt beizutragen.  



Einen gleichsam erinnerungswürdigen Eindruck hinterließ der Zusammenhalt innerhalb der bolivianischen Familien auf uns. In Südamerika scheint die Institution Familie an erster Stelle zu stehen, Karriere hingegen ist zweitrangig. Unsere Gastschwester sagte einmal zu uns, dass keiner ihrer Kollegen bereit wäre, für ein paar Bolivianos mehr (Währung Boliviens) auf Kosten der Familienzeit Überstunden zu schieben. Jeden Tag wartete die Mutter zur Mittagsstunde bereits mit dem almuerzo auf uns (dt.: Mittagessen) , welches man als deftig bezeichnen kann. Ähnlich der deutschen Küche bestand ein Standartgericht aus einem Anteil Kartoffeln (von denen es dort unzählige Arten gibt, sogar blaue, rote und schwarze) oder Maniok (Knollen mit Kartoffel-ähnlichem Geschmack und Konsistenz), Fleisch, Gemüse und einer pikanten Soße, ein Mahl welches durch einen selbstgemixten Fruchtcocktail abgerundet wurde. Kurioserweise, wurde bei einer bestimmten Soße und Hühnchen-Marinade sogar Coca Cola und Schokolade verwendet. Während dieser Lunchpause, die in der Regel zwei Stunden dauert, plauderte man über den Alltag oder das Essen. Letzteres genießt einen hohen Stellenwert in Südamerika und wurde in unserer Familie meist durch ein Mate-Ritual abgeschlossen- ein anregender Blättertee, der aus einem Holzbehälter getrunken wird und in der Runde herumgereicht wird. Uns wurde bewusst, wie sehr bestimmte Tendenzen der westlichen Welt, insbesondere Deutschland, wie zum Beispiel nach der Schule direkt auszuziehen und so unabhängig wie möglich von der Familie zu sein, extrem durch unsere Kultur geprägt sind. In Südamerika bleibt man meist bis zur Heirat mit der Familie zusammen und selbst dann ist es nicht unnatürlich, weiterhin zusammen zu wohnen. Brüder und Schwestern haben oft einen gemeinsamen Freundeskreis und insgesamt ist es normal, sehr viel Zeit mit der Familie zu verbringen. Unabhängigkeit, wie wir sie kennen, gilt in Deutschland und anderen westlichen Ländern, als ein hohes Gut; in Südamerika begannen wir zu sehen, dass auch ein anderer Lebensweg erfüllend sein kann, wobei wir nichtsdestotrotz die Freiheit schätzen, die wir durch die Weltreise genießen konnten. Eine typische bolivianische Mutter wäre vor Angst gestorben und hätte ihr Nesthäkchen niemals einfach so die Welt erkunden lassen! Ein bolivianischer Freund zum Beispiel, durfte uns nicht einmal für ein Wochenende zum Campen begleiten, obwohl er schon erwachsen war....Und Konfuzius sprach: „Es geht so und auch so“ ;)

   
Mit der Familie beim Essen
Leckeres bolivianisches Essen

Wenn wir an Cochabamba denken, denken wir an die freundlichen Leute die wir kennengelernt haben und die Chance Menschen endlich mal wieder über einen längeren Zeitraum kennenlernen zu können. Wir denken an den Trubel in der Stadt und die lebhaften Märke, in denen Cholitas ihre traditionellen Tücher verkaufen, an den Berg de la Concordia, auf dem die riesige Chritus-Statur thront, die Sanftheit der Sprache und die Kinder im Waisenheim, und daran, was sie jetzt wohl so treiben. Wir können Cochabamba jedem nur ans Herz legen: uns hat diese Stadt verzaubert!

 




Zirkusartige Ortsbusse






 














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