Samba tanzen auf der Strasse, Streetart wohin das Auge reicht und ein riesiges Spektrum an kulturellen Angeboten- Das Gegenteil von "Concrete Jungle" mit unterkuehlten Leuten, als das uns São Paulo beschrieben wurde. Es stimmt schon, dass die Stadt nicht mit Straenden oder einer eindrucksvollen Natur aufwarten kann und eher einer Anhaeufung von grauem Zement gleicht, nichtsdestotrotz besticht sie durch ihren kosmopolitischen Flair und die pulsierenden Menschenmassen. Wenn man beispielsweise zur Rush Hour die Metro benutzen moechte, erinnert einen das bizarre Bild von ungelogen ca. 500-1000 wartenden Menschen eher an das Gedraenge vor einem Madonna-Konzert, als an einen Bahnhof!
Waehrend unserer Woche hier wuchs die Begeisterung fuer Brasilien, dem Land der Gegensaetze und es ist jetzt schon klar, dass wir hierher zurueckkehren muessen. Gleich am ersten Tag unseres Aufenthaltes brachte uns unser Host Daniel zu einem Strassenfest namens "Peruada". Diese Parade, von Jura Studenten zum Leben erweckt, hat ihren Ursprung in einem Studentenstreich. Vor gut 10 Jahren stahlen ein paar Studenten einen Truthahn vom Landgut ihres Professors, brieten ihn und boten dem Unwissenden davon an. Ueber die Jahre hinweg ist aus diesem Streich die Tradition erwachsen, jedes Jahr zuerst in der Uni vorzufeiern, um danach verkleidet in einer grossen Parade mit Umzugswaegen einen Plastiktruthahn hinterherzupilgern, was Tausende von Schaulustigen anlockt.
Mit unserem Host Daniel!
Die folgenden Tage waren aehnlich turbulent, denn diese ganze 17 Millionen Einwohner zaehlende Metropole schlaeft nie! São Paulos Nachtleben ist legendaer- selbst an verregneten Sonntagen schallt Musik durch die Gassen und man sieht Paulistanos in Bars Samba tanzen, woran wir uns natuerlich auch versucht haben.
Dieser Tanz- vorrausgesetzt alleine getanzt- erfordert ein Hoechstmass an Koordination. Als wir uns die Proben einer Sambaschule fuer den kommenden Karneval angesehen haben, konnten wir ueber die Tanzkuenste der Sambataenzerinnen sowie ihre uebermenschlichen Astralkoerper nur staunen. Viele Sambaschulen oeffnen im Herbst ihre Pforten fuer die Oeffentlichkeit. Es gibt unterschiedliche Schulen, die jedes Jahr mit neuen, eigens fuer den Karneval kreierten Mottos gegeneinander antreten, auf die dann auch die Kostueme abgestimmt werden. Sie koennen von allem handeln, oft jedoch von Nationalstolz ("Sou Brasileiro con muito amor!") und werden wie ein Mantra den ganzen Abend ueber wiederholt, was aber dank mitreissenden Rhytmen keineswegs langweilig ist. Man kann sich diese Proben viel eher wie eine grosse Hinterhof-Party vorstellen, auf der Menschen jeder Altersklasse und sogar Muetter mit ihren Kleinkindern ausgelassen feiern. Fuer uns war es faszinierend zu sehen, wie passioniert die Brasilianer und wie tief verankert Tanz und Gesang in der Kultur sind.
Neben dem Tanz ist die bildende Kunst ein wesentlicher Bestandteil der Kultur São Paulos. Das Stadtbild ist gepraegt von vielen hervorragenden Museen(u.a. MASP- ein Palast der modernen Kuenste) und phantasievollen Graffitis, die selbst die dunkelste Gasse in einen Kunstgarten verzaubern.
Auf einer von Couchsurfern organisierten Graffiti-Tour schlenderten wir durch die buntbemaltesten Viertel wie z.b. Vila Madalena und waren hingerissen von der Ausdrucksstaerke der Bilder und der Kreativitaet der Kuenstler.
Waehrend unserer Woche hier lernten wir unseren Host Daniel ziemlich gut kennenen, was teilweise auch daran lag, dass wir auf engstem Raum aufeinandergepfercht in einer 30 Quadratmeter-Wohnung hausten ;). Als Assistent eines Richters bestreitet er seinen Lebensunterhalt und er verhaelt sich tatsaechlich so, wie man es naiverweise von einem Vertreter des Rechts erwartet. Man wuerde ja eigentlich annehmen, dass jemand mit diesem gesellschaftlichen Status eher mit seinesgleichen verkehrt und versnobt ist- sowie der Regelfall in Brasilien- Daniel jedoch unterhaelt sich mit jedem auf Augenhoehe und ist ausserordentlich grosszuegig und freundlich.
So stark wie unsere Begeisterung fuer diese Stadt und ihre Leute, war aber auch die Erschuetterung darueber, wie enorm Arm und Reich auseinanderklaffen. Wir wohnten nicht im schlechtesten Viertel São Paulos, trotzdem sah man auch hier -so wie ueberall- Menschen, die ihr Heim aus Pappkartons errichtet hatten. Dies ist ja auch am Hamburger Hauptbahnhof kein seltener Anblick, uns erschreckte jedoch das Ausmass und die Tatsache, dass so viele der Obdachlosen noch Kinder waren.
Wie zu Anfang erwaehnt, sprachen wir von Brasilien als Land der Gegensaetze:
Man sitzt draussen in einem Cafe, waehrend sich zwei Meter neben einem ein Obdachloser auf dem Boden kruemmt. Dieser Anblick ist trostlos, viel ernuechternder jedoch ist es festzustellen, dass unsere brasilianischen Freunde sich damit abgefunden haben, schliesslich koenne es einem "nicht jeden Tag schlecht deswegen gehen", sie schlicht in einer anderen Realitaet aufgewachsen sind als wir.
Wir fragen uns, wie an einem Zustand etwas veraendert werden kann, wenn er als Normalitaet angesehen wird. In Deutschland ist diese Haltung ja leider nicht grossartig anders, wenn auch die Situation wesentlich weniger gravierend ist.
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